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September im Netzwerk Klimajournalismus: Fazit Sommergespräche, bye bye Klimaheldinnen und 432 Milliarden Dollar

Liebe Leser:innen,

ein herzliches Willkommen an alle, die sich seit letzten Monat neu für den Newsletter angemeldet haben. Gerade neigt sich der Sommer ja dem Ende zu, doch die Extremen haben wir noch nicht hinter uns gelassen: Bilder aus einem verwüsteten Griechenland – und das, obwohl jene der verheerenden Waldbrände noch in den Knochen sitzen. Madrid unter Wasser. Und mir persönlich sitzt noch die Nervosität in den Knochen: Wie bei einem Liveticker verfolgte ich den Pegelstand des Inns, nur knapp wurde meine Heimatstadt vergangene Woche – und das Haus, in dem ich aufgewachsen bin – nicht verwüstet. Dann die Nachricht, die es offiziell macht: Der Sommer 2023 war laut EU-Klimawandeldienst der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen 1940. Wie werden wir uns an diese Monate erinnern? Haben die allgegenwärtigen Wetterextreme nun endlich die Bewusstseinsschranke vieler Skeptiker überwunden? Wie blicken Politik und Medien darauf, wenn etwa gerade eine neue Bodenstrategie ausgearbeitet wird? Ihr seht: Ein Sommer der Extreme bringt mehr Fragen als Antworten. Einige davon spiegeln sich auch in der Berichterstattung wider:

TOP

Bodenversiegelung ist beliebtes Klima-Thema

Die Tageszeitung Salzburger Nachrichten hat vergangenes Monat gleich mehrmals über den viel zu hohen Bodenverbrauch in Österreich berichtet. Kaum ein anderes Land geht mit seinen Böden so verschwenderisch um wie wir – und das stößt auch den Leser:innen auf. “Wir bekamen dazu sehr viel Zuspruch und Nachfragen via E-Mail”, erklären Bettina Figl (Innenpolitik-Redakteurin) und Stephanie Pack-Homolka (Außenpolitik-Redakteurin). Es sei eines der Klima-Themen, die besonders gut klicken. Allgemein seien konstruktive und lösungsorientierte Artikel zur Klimakrise beliebter als negative Zukunftsszenarien, sagen die beiden. Wie die Salzburger Nachrichten dem steigenden Interesse nach Klimaberichterstattung nachkommen wollen, könnt ihr im Interview nachlesen:

Sommergespräche 2023 – TOP oder FLOP?

Teresa Wirth, Journalistin bei der Tageszeitung Die Presse, hat sich für uns die Sommergespräche angesehen und eingeordnet:

Es ist eine Krux: Ein Sommergespräch dauert fast eine Stunde. Endlich genug Zeit, um ausführlich über alle wichtigen Themen zu sprechen, sollte man meinen. Aber wenn alles vorkommen soll, bleibt gezwungenermaßen für alles nur wenig Zeit ­– auch für die Klimakrise. Nach fünf Folgen bleibt der Eindruck, dass ihre Bedeutung als größte Herausforderung unserer Zeit auch bei den Sommergesprächen noch nicht vollständig angekommen ist. Dennoch, im Vergleich zu früheren Ausgaben ist das Klima dieses Jahr – einmal mehr, einmal weniger – sichtbar ins Zentrum gerückt.

Zumindest wenn man von der ersten Folge mit NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger absieht. Dass das bestimmende Nachrichtenthema (das Hochwasser im Süden Österreichs) in den Tagen zuvor nicht in die Sendung passte, war der Voraufzeichnung geschuldet. Doch auch davon abgesehen stellte Moderatorin Susanne Schnabl ihrer Gesprächspartnerin keine Frage, die darauf abzielte, die klimapolitischen Vorstellungen der NEOS zu durchleuchten. Der kurze Einwurf, was Meinl-Reisinger von einem höheren CO2-Preis halte, wurde mit einem „Das ist ein alter Hut“ quittiert. Nachfrage gab es keine. Der Auftakt war damit leider eindeutig ein FLOP.

Ganz anders beim zweiten Sommergespräch mit Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler: Hier war viel Zeit – rund elfeinhalb Minuten –, um über verschiedenste Aspekte der Klimakrise zu sprechen. Schnabl fragte nach unmittelbaren Konsequenzen der Unwetter, etwa für das Versicherungssystem, genauso wie nach dem ausbleibendem Klimaschutzgesetz und was ein strengerer Bodenschutz letztlich für junge Menschen mit einem Wunsch nach einem Eigenheim bedeute. Das Aufzeigen der Dilemmata, die zwischen klimapolitischen Maßnahmen und den Realitäten einzelner Bürger:innen entstehen können, ist dabei gut gelungen. Alles in allem: TOP.

Ausgerechnet beim Gespräch mit FPÖ-Chef Herbert Kickl, der gewöhnlich mehr von Klimahysterie als Klimaschutz spricht, hat der Themenblock Klima viel Raum eingenommen. Auch hier schaffte es Schnabl, die Dringlichkeit mit dem Beispiel des Kärntner Feuerwehrkommandanten, der sich nach den verheerenden Unwettern die angekommene Klimakrise eingesteht, greifbar zu machen. Auf Kickls Ablenkungsmanöver ging Schnabl nicht ein. Sein Versuch, den Weltklimarat IPCC als Glaubensgemeinschaft zu diskreditieren, ließ sie nicht stehen. Von Klimazielen und drohenden Strafzahlungen bis Klimavolksbegehren wurden in den rund sieben Minuten zum Klima einiges angesprochen, wofür die Folge ebenfalls ein TOP bekommt. 

In der Sendung mit SPÖ-Chef Andreas Babler war beim Klima vor allem der Verkehr Thema – sinnvoll, weil das Sorgenkind in der österreichischen CO2-Bilanz auch in der SPÖ zuletzt für Widersprüche gesorgt hat. Diese wollte Schnabl ausloten, und das mit Nachdruck. Sie wies Babler etwa darauf hin, dass eine gesetzliche Umsetzung von Tempo 100 mehr Biss hätte als das parteiintern verordnete freiwillige Langsamfahren, und dass es neben der von ihm als einzige Verkehrsmaßnahme quittierte Öffi-Ausbau sehr wohl anderes gäbe, etwa eine von Wissenschafter:innen als sinnvoll beurteilte CO2-Bepreisung. Die gezielten Fragen nach konkreten Maßnahmen bescheren der Sendung also ein TOP.

Im Gespräch mit Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Karl Nehammer hatte das Klima als eine der „großen Herausforderungen“ (Schnabl) zwar Platz, im Großen und Ganzen konnte der Bundeskanzler seine Botschaften ohne kritische Einordnung von Schnabl ausbreiten: Etwa, dass das Klima ein globales, kein lokales Thema sei und das eine Emissionsreduktion Österreichs alleine wenig ausrichten könne. Ein Hinweis auf lokale Effekte wie Hitzewellen oder auf die Masse an kleinen Ländern, die gemeinsam einen großen Anteil der weltweiten Emissionen ausmachen, wäre wünschenswert gewesen. Stattdessen versteifte sich Schnabl auf die Frage, ob das Klimaschutzgesetz noch kommen werde. Zweifelsfrei eine wichtige Frage, trotzdem war diese Ausgabe eher ein FLOP.

Wir haben auch Susanne Schnabl nach ihrem Fazit gefragt: “Die Klimakrise war in den Sommergesprächen neben Inflation, Demographie und den daraus entstehenden Herausforderungen eines der zentralen Themen. Nach der Klimakatastrophe in Kärnten, Steiermark, Slowenien nahm sie noch mehr Platz zulasten anderer Themen ein, vor allem bei den regierungsverantwortlichen Gästen Werner Kogler und Karl Nehammer. Aber selbst in einem Sommergespräch kommt jedes Thema angesichts der Fülle an aktuellen Herausforderungen und dem Anspruch, Positionen auch kritisch zu hinterfragen, zu kurz, insbesondere das Klima aufgrund seiner Komplexität. Eigentlich bräuchte es ein eigenes Format, vielleicht Klimagespräche.”

FLOP

Puls 4 stellt Klima-Format ein

Nach vier Jahren und mehr als 200 Sendungen löst Puls 4 das TV-Format “KLIMAHELDiNNEN” auf. 7 von 9 Beschäftigten wurden gekündigt, weil der Medienkonzern auf Sparkurs ist. Zuletzt wurde das fünfminütige Magazin unter der Woche um 16.55 Uhr auf Puls 4 ausgestrahlt. Der Sender hofft, die Klimaberichterstattung “in Zukunft wieder ausbauen zu können, sobald es die Marktsituation erlaubt.” Im Etat des Standard erfahrt ihr mehr über die Hintergründe.

Die Redaktion selbst hat sich per Videobotschaft verabschiedet, will aber gemeinsam weitermachen und sucht gerade nach einer passenden Plattform. “Wir haben bei Puls 4 alles eigenständig abgedeckt: Recherche, Redaktion, Kamera und Schnitt”, sagt Francesca Grandolfo. Das Team freut sich über jegliche Vorschläge, Kontakte, Anfragen – gerne per Mail auf diesen Newsletter antworten, wir leiten die Nachricht weiter.

Und sonst so? – Aktuelle Fakten, Events und Initiativen

TERMINE:

  • Am 07. September (20.00 Uhr) lädt das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland zur monatlichen digitalen Klima-Kneipe.
  • Am 13. September (11.55 – 13.00 Uhr, online) spricht Mobilitätsexpertin Katja Diehl in unserem 5vor12 Klima-Briefing exklusiv für Journalist:innen über Lobbynarrative im Verkehrsbereich. Weitere Gäste immer mittwochs: Matthias Schmelzer über Degrowth, Claudia Kemfert über die Energiewende und Ilona Otto über soziale Kipppunkte.
  • Am 15. September findet der nächste weltweite Klimastreik statt.
  • Am 25. September starten die 10. Klima & Umwelt Filmtage Baden. Unsere Sprecherin Verena Mischitz wird ein Panel moderieren.
  • Von 28. bis 30. September finden in Steyr (OÖ) die Österreichischen Konsumdialoge zum Schwerpunkt “Lebensmittel” statt. Mit dabei sind unter anderem Netzwerk-Sprecherin Verena Mischitz, Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Marta Lopez Cifuentes (BOKU Wien).
  • Am 08. Oktober (20.00 Uhr) bringt das IIASA Institut unter Regie von Gloria Benedikt Klimaforschung auf die Bühne, im Das Muth, 1020 Wien.

KONSTRUKTIVER KLIMAJOURNALISMUS:

  • Was von den verheerenden Unwettern in Kärnten, Steiermark und Slowenien übrig bleibt und was es jetzt braucht, zeigt das Report-Team des ORF in einem 10-minütigen Beitrag über die Gemeinde Globasnitz. Dort ist der halbe Berg heruntergekommen.

SCHON GESEHEN?

  • Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, hat jede zweite Person, die zur Klimakrise twittert, die Plattform verlassen. Währenddessen wird auf X immer mehr Klima-Desinformation verbreitet.
  • Warum Objektivität im Journalismus eine Illusion ist, schreibt Valérie Catil in einem Essay für die taz. Er ist Teil einer sommerlichen Klimajournalismus-Serie.

JOBS, STIPENDIEN UND PREISE:

  • Bis 30. September könnt ihr euch für ein Projektstipendium Journalismus (je 1.500 Euro für drei Monate) bei Literar Mechana bewerben.
  • Die t-online Redaktion sucht eine/n Redakteur:in für den Bereich Klima/Nachhaltigkeit (Berlin, Vollzeit, ab 1. Oktober).

Kommt gut durch den Sommer!

Katharina Kropshofer


Zahl des Monats: 423 Milliarden Dollar

… an Schäden verursachen invasive, also eingeschleppte Arten. Das schreibt der Weltbiodiversitätsrat IPBES in seinem bisher umfassendsten Bericht. Etablieren sich Arten in einer neuer Region, können sie einheimische Spezies verdrängen oder sogar auslöschen, sie können Seuchen auslösen oder Ernten vernichten. “Von allen 37.000 Neobiota, also gebietsfremden Arten, überwiegen die negativen Auswirkungen gegenüber den positiven”, sagt Mitautor Bernd Lenzner im Gespräch mit dem Wochenmagazin Falter. In Österreich sind es übrigens 2.000 fremde Arten. Für Medien stellt sich deshalb immer mehr die Frage: Auch wenn die Klimakrise journalistisch mittlerweile mehr Aufmerksamkeit bekommt – werden wir dem Artensterben mit unserer Berichterstattung gerecht? Wir haben jedenfalls auf Empfehlung von Wissenschafter:innen beschlossen, die Biodiversitätskrise in unseren Klima-Kodex aufzunehmen.