Liebe Leser:innen,
Geht es euch auch manchmal wie mir? Erscheint euch die Grenze zwischen Mut und Wahnsinn, zwischen Fiktion und Realität, Information und Desinformationen auch so schmal – besonders dieser Tage? Etwa, wenn Sultan Al Jaber, immerhin Präsident der diesjährigen Weltklimakonferenz, davon spricht, dass es ”laut der Wissenschaft keinen Stopp von Öl- und Gasförderungen brauche” (der wissenschaftliche Konsens sagt genau das Gegenteil). Oder wenn die OMV behauptet, klimaneutrales Tanken wäre möglich (Spoiler: Ist es nicht).
Zum Glück kann die Grenze gar nicht so schmal sein, als dass sie Expert:innen wie Jennie King nicht ganz klar benennen könnten. Sie war zu Gast bei unserem COP-Briefing und gab Input zu klimabezogener Desinformationen.
Unsere Learnings aus dem COP-Briefing mit Jennie King
Am Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London wird eigentlich zu Extremismus geforscht – etwa zu Radikalisierung im Netz. Seit einigen Jahren wird ein Thema aber immer wichtiger: Klima-Desinformation, die sich online häuft. Wie man diese entlarvt, hat uns Jennie King erzählt. Sie sieht vor allem drei Strategien und Akteure:
1️⃣ Die klassische fossile Industrie wie etwa Öl- und Gasunternehmen, die Autoindustrie und große Player in der Landwirtschaft versuchen ihr Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten und beschönigen, was es zu beschönigen gibt.
2️⃣ Trolls und Akteure aus oft kremlinnahen Netzwerken versuchen, Länder wie Deutschland zu destabilisieren, etwa indem sie mit Falschinfos über den Klimawandel Unruhe stiften.
3️⃣ Leute, die ihr Geld mit Klicks und Kommentaren verdienen und deshalb bewusst provozieren. Etwa Wellness-Influencer:innen.
➡️ Aus dem COP-Briefing sind gleich mehrere Beiträge entstanden:
- Wer von klimabezogener Desinformation profitiert, Salzburger Nachrichten
- Falschinformationen erleben Aufschwung vor der Weltklimakonferenz, AFP Faktencheck
- Klimakonferenz für Dummies, Falter
Einen ISD Bericht zu den Verzögerungs- und Lügentaktiken findet ihr hier.
Worüber wir reden
👍 Presse startet Klima-Podcast
Der Standard und der Kurier haben bereits einen. Nun hat sich auch Die Presse dem Club der “Klima-Podcasts” österreichischer Tageszeitungen angeschlossen. Am 1. Dezember startete die erste Folge von ”Der letzte Aufguss”. Jeden zweiten Freitag widmet sich ein Kernteam bestehend aus Mathias Auer, Teresa Wirth, Christine Mayrhofer, Anja Drechsler und Michael Lohmeyer darin der Klimakrise. “Wir haben schon eine Weile ein Ressort-übergreifendes Klimateam im Haus. Mit dem Podcast wollen wir das Thema nochmal präsenter machen”, sagt Christine Mayrhofer. Das Format ist als “entspanntes” Gespräch zwischen drei wechselnden Hosts gestaltet. Wiederkehrende Elemente sind das “Mitbringsl” und der “Mutmacher”. “Uns war es besonders wichtig, auch Lösungen aufzuzeigen. Wir wollen keine Panik verbreiten und auch nicht alarmistisch sein, sondern uns konstruktiv mit den Themen auseinandersetzen”, betont Mayrhofer.
👎 Robert Menasse und die Windräder
Schriftsteller Robert Menasse dürfte wohl kein Fan von Windrädern sein. In seinem Beitrag für Die Presse lässt er kaum ein gutes Haar an den windbetriebenen Energieanlagen. Allerdings reißt Menasse darin Fakten aus dem Zusammenhang oder gibt sie falsch wieder, wie etwa Twitter-Nutzer Gerhard Allgäuer in einem Thread kritisiert:
Johannes Schmid, Professor Energie- und Ressourcenökonomie an BOKU Wien, hat in einer Replik auf Menasse geantwortet. Er stellt klar, dass etwa nur wenige Tausend Tonnen Beton verwendet werden anstatt Millionen, wie Menasse fälschlich schreibt. Eine Woche vor Menasse hat zudem auch Netzwerk-Mitgründerin Katharina Kropshofer für den Falter zu Windkraft-Gegnern recherchiert.
👎 CNBC streicht das gesamte Klimateam
Nach zweieinhalb Jahren hat die US-Sendergruppe CNBC ihr Klimateam komplett aufgelöst. “What I can say is I found the news absolutely devastating, for myself personally and for the stories that won’t get told”, schreibt die Journalistin Catherine clifford in einem persönlichen Post auf LinkedIn, nachdem sie von ihrer Kündigung erfahren hatte. CNBC erreicht weltweit fast 400 Millionen Zusehende.
Und sonst so? – Aktuelle Fakten, Events und Initiativen
📆 TERMINE
- Am 7. Dezember (18.00 – 19.30 Uhr, online) lädt das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland drei Journalist:innen ein, die Einblicke in ihre Klimateams bei der Tagesschau, Deutschlandfunk und Stuttgarter Zeitung geben.
- Am 12. Dezember (10.00 Uhr, online) veranstaltet das Diskursnetzwerk Wissenschaft eine Resümee-Runde zur Weltklimakonferenz mit Renate Christ (ehem. Leiterin IPCC-Sekretariat) und Reinhard Mechler (IIASA).
- Am 16. Jänner (17.30 – 18.45 Uhr, online) spricht Umwelt-Historikerin Verena Winiwarter über “Klimakrisen und Gesellschaft – Eine Langzeitbetrachtung”.
- Am 20. Jänner (10.00 – 14.00 Uhr, online) gibt Sara Schurmann einen kostenlosen Workshop zu Klimajournalismus bei LizzyNet.
- Weitere Termine findet ihr unter anderem beim Klimaforschungsnetzwerk CCCA.
🛠️ RESSOURCEN
- Auf Slack teilen wir laufend Ressourcen zur COP 28. Schreibt uns, wenn ihr Zugriff haben möchtet. Oder schaut in unseren Sondernewsletter zur COP 28 rein.
- Mehr als 2.400 fossile Lobbyisten sind auf der COP 28. Die vollständige Liste inkl. OMV-CEO Alfred Stern könnt ihr bei KickBigPollutersOut beantragen.
👀 SCHON GESEHEN?
- Bei “Gute Nacht Österreich” spricht Peter Klien über die COP 28 und Desinformation fossiler Konzerne wie BP und Shell.
- Ein Forscherduo hat Verbindungen zwischen der Öllobby und niederländischen Universitäten aufgedeckt – zu lesen in den Salzburger Nachrichten.
- Mit Bonuspunkten an der OMV-Tankstelle den Klimaschaden ausgleichen? Eine Dossier-Recherche lässt Zweifel an diesem grünen Versprechen aufkommen.
- In der sechsteiligen Serie “Wer wir sind” eskaliert ein Abend im Protestcamp zwischen Umweltaktivist:innen und der Polizei. Zu sehen in der ARD-Mediathek.
- Die Robert Junck Bibliothek für Zukunftsfragen hat in einem Arbeitspapier die zehn besten Bücher zur Klimakrise in den Fokus gestellt.
💡 KONSTRUKTIVER JOURNALISMUS
- Kiyo Dörrer hat das konstruktive YouTube-Format “Planet A” der Deutschen Welle aufgebaut. Warum sie nicht “Klima” in den Titel schreibt, erzählt sie im Kurzinterview.
📰 ÜBER KLIMAJOURNALISMUS
- Über die 7 häufigsten Fehler in der Klimaberichterstattung schreibt Elena Matera im medium magazin.
- 2 von 3 Personen glauben, dass Medien die Klimapolitik signifikant beeinflussen können, zeigt ein Bericht des Reuters Instituts.
- Ist die Klimaberichterstattung zu aktivistisch, wie eine Umfrage im Auftrag von ServusTV nahelegt? Netzwerk-Mitgründerin Katharina Kropshofer hält im Falter.natur-Newsletter dagegen.
- Die Journalistin Fiona Harvey vom Guardian kritisiert, dass die COP 28 intransparent und Pressekonferenzen für Medien schwer zugänglich seien.
- Diego Arguedas Ortiz und Katherine Dunn habe ihre Learnings aus mehreren Jahren Oxford Climate Journalism Network niedergeschrieben.
💰 JOBS, STIPENDIEN UND PREISE
- Das Netzwerk Recherche vergibt mit der Umwelt-Förderorganisation Olin laufend Stipendien für Rechercheprojekte (max. 5.000 €) im Bereich Umwelt/Ökologie.
- Die WAZ startet in Deutschland 2024 mit dem “Klima-Volontariat” ein zweijähriges Ausbildungsprogramm.
- Weitere Stipendien findet ihr unter anderem bei Journalismfund Europe.
Genießt den Schnee, der uns ganz Österreich verzuckert
Naz
Zahl des Monats: 74 %
… haben wenig Interesse an der Weltklimakonferenz COP 28, zeigt eine Erhebung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Und 87 % erwarten sich wenig von der diesjährigen Weltklimakonferenz in Dubai.
Für uns ist das ein Signal auch an den Journalismus: Die bisherige Berichterstattung kommt nicht an wie erhofft. Die Zahlen sollten in den Redaktionen diskutiert werden. Sie sind aber keine Absage an gute Klimaberichterstattung – im Gegenteil: Zwei von drei Menschen sind an Klimaberichterstattung interessiert und jede zweite Person fühlt sich bisher nicht ausreichend informiert.