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Alexander Warzilek: “Journalismus muss ausgewogen und faktentreu berichten”

Vor unserem Stammtisch Ende März haben wir unseren Gast Alexander Warzilek zum Interview gebeten. Als Geschäftsführer des österreichischen Presserats spricht er mit uns über die Branche, ethische Verstöße von Medien und über die Verantwortung des Journalismus in der Klimakrise.

Herr Warzilek, was ist der österreichische Presserat?

Wir sind eine Institution der Branche und vom Staat unabhängig. Deshalb können wir uns aber nicht auf bekannte staatliche Sanktionsmöglichkeiten berufen. Das bedeutet, dass wir bei ethischen Vergehen keine Strafen aussprechen oder Schadenersatz zusprechen können. Unsere Entscheidungen haben in erster Linie eine appellierende Funktion. Sie werden innerhalb der Branche aber stark wahrgenommen. Für Journalist*innen und Medien ist es sehr unangenehm, wenn ein Organ aus der eigenen Branche sagt, dass da etwas ethisch falsch gelaufen ist. Das tut dem Medium schon weh.

Verstöße können bei uns von allen gemeldet werden, Leser*innen oder auch Institutionen. Jede Beschwerde wird bearbeitet und bei interessanten Themen ist auch eine Begründung auf unserer Homepage nachzulesen.

Was ist ein typischer Verstoß im Bereich Klimajournalismus?

Ein sehr gravierender Verstoß war unlängst Mat Schuhs Kommentar im “Krone.TV” Magazin. (Anmerkung der Redaktion: Im November des Vorjahres veröffentlichte Mat Schuh unter dem Titel „Der Ural 375“ – ein sowjetischer Lastkraftwagen – einen Kommentar gegen Klimaaktivist*innen der Letzten Generation. Der Presserat hat den Beitrag als schwerwiegenden Verstoß gegen Punkt 7 des Ehrenkodex „Schutz vor Pauschalverunglimpfungen und Diskriminierung“ eingestuft). Darin vergleicht der Autor die Klimaaktivist*innen, oder „Klima Kleber”, wie er sie genannt hat, mit Abschaum, Müll und Kakerlaken. Er hat zu Gewalt aufgerufen und gegen Ende eine russische Schneefräse ins Spiel gebracht, mit der man rückstandsfrei die Klimaaktivisten von der Straße ‘weg bekommt’.

Damit begeht der Autor auf schwerwiegende Weise Pauschalverunglimpfungen und Diskriminierung von der Gruppe der Klimaaktivist*innen. Obwohl es sich um einen Kommentar handelt, bei dem die Meinungsfreiheit besonders weit reicht, war das unbestritten ein schwerwiegender Verstoß. Das haben wir dann auch sehr deutlich gesagt. 

Wie ist der Fall dann weitergegangen?

Das Medium hat nicht Stellung bezogen. Die Kronen Zeitung ist die einzige Zeitung, die sich nicht verpflichtet hat, den Ehrenkodex zu akzeptieren. Sie ist auch kein Mitglied im Presserat. Trotzdem hat die Kronen Zeitung in der Vergangenheit schon einmal Stellung genommen, und zwar zu ihrer Berichterstattung zum Terroranschlag in Wien. Aber in diesem Fall vom Autor Mat Schuh eben nicht. Die Entscheidung unseres Senats wurde in der Branche stark wahrgenommen und von mehreren Medien publiziert.

Welche Verstöße im Bereich Klimajournalismus nehmen Sie sonst noch wahr?

Es ist wichtig, klar zu differenzieren. Das eine sind Beschwerden, dass zu wenig über die Klimakrise berichtet wird. Dagegen können wir nicht vorgehen, da wir Medien nicht vorschreiben können, über welche Themen sie zu berichten haben. Das wäre ein Eingriff in die Pressefreiheit, auf der unsere Demokratie beruht. Das andere sind fragwürdige wissenschaftliche Positionen. Aus medienethischer Perspektive darf auch eine wissenschaftliche Mindermeinung, die nicht zum Konsens gehört, vertreten werden beziehungsweise so jemand interviewt werden. Denn Journalist*innen können natürlich nicht die Aussagen der interviewten Person beeinflussen. Jedoch gab es auch Fälle, wie bei Corona, bei denen ein Hinweis zu einer umstrittenen Verschwörungstheoretikerin gegenüber dem Publikum hätte erfolgen müssen. Denn außerhalb des Interviews muss Journalismus weiterhin ausgewogen und faktentreu berichten, so wie in Punkt 2 im Ehrenkodex beschrieben (Anmerkung der Redaktion: “Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in Recherche und Wiedergabe von Nachrichten und Kommentaren sind oberste Verpflichtung von Journalisten”, lautet Punkt 2.1. des Ehrenkodex).

Welche Verantwortung hat Journalismus in der Klimakrise?

Ein Lösungsansatz ist der gesellschaftliche Diskurs, auch innerhalb der Medien. Dieser findet mittlerweile auch statt. Es bilden sich immer mehr ressortübergreifende Redaktionsteams zur Klimaberichterstattung. Das wird aber nicht an der Überzeugungsarbeit vorbeiführen. Im Presserat sitzen renommierte Journalist*innen und auch junge aufstrebende, die sich dem Thema aus medienethischer Perspektive annehmen, aber eben nicht aus klimawissenschaftlicher Sicht. Eine allgemein Erklärung der drei Senate des Presserats mit bestimmten Eckpunkten könnte das Bewusstsein in der Branche für die korrekte Klimaberichterstattung stärken.

HINTERGRUND: Was passiert, wenn der Presserat ein Verfahren einleitet? In der Sitzung entscheidet der zuständige Senat, dass ein Verfahren eingeleitet wird und gibt dem betroffenen Medium zwei Wochen Zeit, um zum Verstoß Stellung zu nehmen. Die Verhandlung zum Fall findet dann in der Folgesitzung, für gewöhnlich einen Monat oder eineinhalb Monate später, statt. An diesem Termin darf das betroffene Medium teilnehmen, um erneut Stellung zu beziehen. Wenn der Senat sich dafür entscheidet, dass ein Ethikverstoß vorliegt, dann differenziert er diesen in Stufen: ein geringfügiger Verstoß, ein normaler Verstoß oder ein schwerwiegender Verstoß. Das Ergebnis des Verfahrens wird in Form einer Presseaussendung ausgeschickt. Bei einem geringfügigen Ethikverstoß wird bloß ein Hinweis ausgesprochen, statt den Fall mit einer Entscheidung zu überschreiben. Daneben hat der Senat die Möglichkeit, einen offenen Brief zu schreiben, um Kritik auszuüben. Auf den sozialen Netzwerken und auf unserer Homepage ist so ein Brief dann einsehbar. Manchmal gibt der Senat auch eine allgemeine Erklärung zu einem generellen Thema ab und führt einige Beispiele an. Das betrifft dann mehrere Medien. Der Senat hat beispielsweise zum Thema Gewalt gegen Frauen bisher schon zwei oder drei Mal Stellung bezogen und für mehr Sensibilität appelliert – vor allem in der Wortwahl.