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Alexandra Borchardt: “Wer in guten Klimajournalismus investiert, investiert in guten Journalismus”

Alexandra Borchardt ist unabhängige Journalistin und Medienwissenschaftlerin. Sie war 25 Jahre bei großen Medienmarken tätig, 15 Jahre davon in Führungspositionen. Anfang März 2023 hat die European Broadcasting Union (EBU) ihre Studie „Climate Journalism that works: Between knowledge and impact“ veröffentlicht, die kostenlos verfügbar ist. Sie beschreibt unter anderem mithilfe von Fallstudien und vielen Materialien, wie Klimajournalismus funktionieren kann. Borchardt war Leitautorin, hat für den Report gemeinsam mit Katherine Dunn und Felix Simon recherchiert – beide Kolleg:innen aus Oxford. Im Gespräch erzählt sie über die Relevanz von Klimathemen in Redaktionen, über journalistische Grundwerte und wie sich konstruktiver Journalismus von Greenwashing abgrenzen kann.

Frau Borchardt, können Sie die 180 Seiten des Berichts auf drei konkrete Empfehlungen für bessere Klimaberichterstattung herunterbrechen?

Das Wichtigste zuerst: Wer in guten Klimajournalismus investiert, investiert in guten Journalismus, der konstruktiv und lösungsorientiert ist, der sich nicht so schnell vom Tagesgeschäft hetzen lässt, der sehr stark erklärt, aber auch Entscheidungsträger:innen auf die Finger schaut und nachhaltig dranbleibt. Der heutige Journalismus polarisiert oft sehr stark oder steigt auf Polarisierung ein. Das hilft uns im politischen Prozess nicht weiter. Also kurzum: Ein guter Klimajournalismus steht für alles, was guten Journalismus ausmacht.

Zweitens: Journalismus muss Teil jeder Berichterstattung werden – insbesondere der Wirtschaftsberichterstattung. Die Lücke zwischen Wissen und Handeln besteht vor allen Dingen deswegen, weil die Wirtschaft Klima-Effekte nicht berücksichtigt. Das betrifft unseren Konsum, den Energieverbrauch, und letztlich auch unsere Freizeitgestaltung. Wir verbrennen viel zu viel fossile Brennstoffe, um das alles zu tun. Wir hätten das längst schon ganz anders tun können, wenn in der Wirtschaft ein größeres Bewusstsein dafür da gewesen wäre. Ein Wirtschaftsressort, das sich nicht von vorne bis hinten mit der Klimakrise beschäftigt, macht keine zukunftsgewandte Berichterstattung.

Meine dritte Empfehlung ist, dass guter Journalismus sehr nah an den Menschen dran sein muss. Er muss stark im Lokalen verankert sein und unterschiedliche Menschen mit ihren Bedürfnissen wahrnehmen. Klimawandel ist nicht etwas, das irgendwo weit weg oder irgendwann in der Zukunft stattfindet, sondern bereits heute. In der politischen Polarisierung geht das oft unter. Der Journalismus muss dem auch Rechnung tragen, indem er die Klimakrise ganz nah an die Menschen heranbringt und ihnen Möglichkeiten aufzeigt, was sie selbst tun können. Zum Beispiel, welche Rolle ihre Wahlentscheidungen spielen.

Welche Rolle spielt konstruktiver Journalismus in der Klimaberichterstattung, aktuell und in Zukunft?

Wenn wir einen Journalismus machen, der die Menschen in Alarmstimmung versetzt, bei dem sie denken: „Wir können eh nichts mehr tun“, dann macht das passiv und die Leute resignieren. Konstruktiver Journalismus ist wichtig, weil er zeigt, dass noch nicht alles verloren ist.

Das Risiko dabei ist, dass sich Unternehmen oft klimafreundlicher präsentieren als sie sind und auf dem Weg, lösungsorientierte Berichterstattung zu machen, man in die Greenwashing-Falle tappen könnte. Kolleg:innen müssen, am besten durch eine fundierte journalistische Ausbildung, die Warnsignale erkennen, um Greenwashing aufzudecken.

Es gibt so viele Vorteile in einer Welt, die sich mehr mit dem Klima beschäftigt: Bessere Luft, bessere Gesundheitsdaten, höhere Lebensqualität in Städten, ein besseres Wirtschaftssystem, mehr Verteilungsgerechtigkeit. Andere Indikatoren für wirtschaftliche Qualität als nur das immer gleiche sture Messen des Bruttoinlandsprodukts.

Konstruktiv bedeutet, dass Menschen auch wahrnehmen, was alles schon getan wird. Und tatsächlich wird ja auch von der Industrie, von vielen Unternehmen schon sehr viel mehr getan, als man erfährt. Es ist extrem ermutigend zu sehen, wie viel Geld in Klimaschutz weltweit gesteckt wird und wie viele Unternehmen bereits handeln.

In vielen Redaktionen fehlt diese Haltung weiterhin. Macht es einen Unterschied, wer in den Führungsetagen der Redaktionen sitzt?

Homogenität in den Führungsetagen ist nie gut. Sie ist durch den Mechanismus gewachsen, dass immer die besten Reporter – häufig Reporter nicht Reporterinnen –  in  Führungspositionen gehoben wurden. Mit diesem Mechanismus bin ich in dieser Branche groß geworden.

Mittlerweile gibt es ein zunehmendes Bewusstsein dafür, auch Diversität in die Führungsetagen zu bringen, um vielfältige Perspektiven in den Journalismus zu holen. Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist dazu verpflichtet, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie ist und alle gesellschaftlichen Gruppen zu bedienen. Gerade beim Thema Klimaschutz gibt es diverse Bedürfnisse und Betroffenheiten. Das geht eben auch dahin, zu fragen: „Wer trägt die Kosten?“ Klimagerechtigkeit ist ein großes Thema.

Wie kann das gelingen?

Es ist eine extrem wichtige Aufgabe, die nicht jeder wahrnimmt,  der in Führungsverantwortung ist. Wenn zu viel Homogenität herrscht, werden viele Themen übersehen, selbst wenn Vielfalt da ist. Denn es besteht oft ein extrem hoher Anpassungsdruck auf diejenigen, die nicht diesem gängigen Bild einer Führungskraft entsprechen.

Zum Beispiel habe ich lange einen Wirtschafts-Newsdesk geleitet und damals ganz bestimmt einen Wirtschaftsteil gemacht, den ein Mann genauso gemacht hätte, weil ich Wirtschaftsjournalismus von Männern gelernt habe. Erst sehr viel später in meiner Laufbahn habe ich das bemerkt und mich gefragt: „Ups, was fehlt eigentlich da?“ In meinem Fall war es eine weibliche Perspektive auf die Wirtschaftsberichterstattung, so wie heute eine Klimaperspektive darauf fehlt.

Welche Reaktionen gab es auf den Bericht?

Die Reaktionen waren sehr positiv, vor allem aus dem Ausland. Ich habe ihn kürzlich digital auf einer Konferenz in Nairobi präsentiert und bei einer großen Präsentation vor vielen Kolleg:innen des kanadischen öffentlich-rechtlichen Senders CBC. Medienpolitisch hat es noch keine großen Reaktionen gegeben. Es dauert immer eine Weile, bis das so durchsickert.

Welche konkreten Forderungen lassen sich aus dem Bericht für Chefredaktionen und die Medienpolitik ableiten und welche Rahmenbedingungen braucht es, damit die Forderungen umgesetzt werden?

Klimaberichterstattung muss ein zentraler Bestandteil des Journalismus sein. Was die Medienpolitik immer sicherstellen muss, ist die Pressefreiheit. Journalist:innen muss für wirklich tiefgehende Recherchen der Rücken freigehalten werden.

Das ist auch eine Sicherheitsfrage. Journalist:innen sind weltweit großer Kritik und Angriffen ausgesetzt. Als ich unseren Bericht bei der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Anm.) vorstellen durfte, hieß es, dass Umweltjournalist:in nach Kriegsreporter:in der zweitgefährlichste Job in unserer Branche ist. Wer investigativ an die Sache herangeht und herrschende Machtverhältnisse oder Praktiken, die für bestimmte Interessen sehr lukrativ sind, infrage stellt, ist Angriffen ausgesetzt. Deshalb muss die Politik diese Personen beschützen und deren Rechte stärken.

Vielen Redaktionen fehlt das Knowhow beziehungsweise die Zeit und das Geld, um sich weiterzubilden. Welche Möglichkeiten gibt es, um Redaktionen zu unterstützen?

Workshops, Trainings und Weiterbildung sind natürlich immer teuer. Aber es muss auch nicht so groß aufgehängt werden. Es gibt hervorragende Materialien. In unserem Bericht ist auch ein Glossar aufgelistet mit Begriffen, die alle Journalist:innen sich aneignen sollten, auch Wirtschaftsredakteur:innen und am besten auch Ressortleiter:innen. Man muss auch nicht immer alle ausbilden, sondern ein paar, die dann Ansprechpartner:innen sind. Eine Lokalredaktion, die ich berate, hat zum Beispiel Kolleg:innen als Climate Guides ausgebildet.

Wollen Sie noch etwas für unsere Leser:innen loswerden?

Klimajournalismus kann Freude machen. Jeder, der neugierig ist, interessiert sich für Lösungen und für Fortschritt einsetzen. Journalist:innen wollen auch die Zukunft beschreiben und nicht nur in der Vergangenheit herumbohren.

Sich diese positive Zukunft auch mal auszumalen, vorzustellen und die Leute zu finden, die Ideen zu einer positiven Zukunft entwickeln – das ist eine Aufgabe des Journalismus, die wirklich Spaß machen kann. Denn wir wollen uns ja auf die Zukunft freuen und nicht nur in Angst davor erstarren.