Kategorien
Interviews

Maria Scholl: “Wir werden irgendwann 150 Klimareporter haben”

Maria Scholl ist seit Oktober 2023 Chefredakteurin der Austria Presse Agentur (APA). Davor war sie stellvertretende Chefredakteurin und hat gemeinsam mit ihrem Vorgänger Johannes Bruckenberger die Klimaberichterstattung der APA aufgebaut. Dort gibt es seit 2021 ein eigenes Klimateam und seit kurzem neue Angebote wie standardisierte Klimadaten und Bildmaterial abseits von stereotypischen Klimabildern.

Frau Scholl, mehrere Umfragen, etwa vom Gallup-Institut zeigen, dass sich die Leser:innen mehr Klimaberichterstattung wünschen. Was bedeutet das für die APA?

Wir können das bestätigen, denn wir haben unsere Klimaberichterstattung vor zwei Jahren massiv ausgebaut und ein Klimateam geschaffen. Seither sehen wir in unseren internen Zahlen und Übernahmestatistiken, dass Klimaberichte am stärksten von unseren Kunden (Anm.: österreichische Medien wie Tageszeitungen, ORF etc.) verwendet werden.

Das kann bedeuten, dass tatsächlich diese Inhalte bei anderen Medien besonders stark nachgefragt sind. Das kann aber auch bedeuten, dass unsere Kunden selbst in diesem Bereich noch schwach aufgestellt sind. Es spricht natürlich auch für die Qualität unserer Klimaberichterstattung.

Welche Strategie verfolgt die APA in der Klimaberichterstattung?

Klimajournalismus ist nichts anders als jeder andere Journalismus. Ein permanentes Draufschütten von schlechten Nachrichten führt zu einem Vermeidungseffekt, wie bei jedem Thema. Unser Ansatz zielt einerseits auf Aufklärung, Einordnung und Erklären von Basiswissen zur Klimakrise und andererseits verfolgen wir einen möglichst lebensweltlich relevanten Ansatz. Wir erzählen Geschichten, die für Menschen relevant sind, konkret sind und die sich auch Lösungen widmen können und nicht nur den Problemen.

Wir haben deshalb das Konzept der User-Needs eingeführt, das ursprünglich von der BBC erdacht wurde. Dafür kategorisieren wir die Inhalte auf Basis der Nachrichten-Nutzungsbedürfnisse unserer Leserinnen und Leser. Die möchten nicht nur erfahren, was gerade neu ist, sondern wollen auch Hintergründe verstehen, sich mit Argumenten für den nächsten Klimastammtisch wappnen, inspiriert oder unterhalten werden. Unsere Klima-Sommerserie, in der wir Lösungen und Initiativen aus dem regionalen Raum zeigen, deckt beispielsweise die User-Needs „Connect me“ und „Inspire me“ ab.

Wie wichtig ist es für Medien, die vor allem tagesaktuell berichten, dass sie eine eigene Strategie zur Klimaberichterstattung haben? Braucht das jedes Medium?

Ja. Jedes Medium muss sich Gedanken machen, wie es mit dem Thema umgeht. Das hat zwei Facetten im Tagesgeschäft: Einerseits wird es immer mehr zu einem eigenen Thema, um dass sich jemand kümmern muss. Im redaktionellen Alltag geht es sehr häufig um Zuständigkeiten: Wer macht es? Und wenn sich keiner zuständig fühlt, macht es im Zweifelsfall niemand.

Andererseits ist Klima nicht nur ein Thema, sondern eine Brille, durch die wir auf alle Themen blicken. Diesen beiden Facetten muss man gerecht werden, indem man darauf eine strukturelle Antwort gibt. Die kann unterschiedlich ausfallen. Wir haben uns entschieden, ein dezentrales Klimateam zu schaffen.

Wissen Sie, wie das bei anderen Presseagenturen abläuft?

Ja. Wir sind Mitglied in mehreren internationalen Agentur-Verbänden, beispielsweise der EANA, MINDS oder der Vereinigung unabhängiger Nachrichtenagenturen Europas (Gruppe 39). Die letzte Konferenz der EANA im September 2023 in Paris stand unter dem Thema Klimaberichterstattung. Dort haben alle europäischen Nachrichtenagenturen berichtet, wie sie das angehen. Es gibt Nachrichtenagenturen, die Klima als eigenes Ressort haben. Es gibt Nachrichtenagenturen, die ein ähnliches Modell wie wir haben, wo es eine festgelegte Zahl an hauptberuflich damit befassten Koordinatoren gibt sowie eine Meeting-Struktur mit Teilnehmenden aus verschiedenen Ecken.

Können Sie uns genauer erklären, wie das Klimateam der APA arbeitet?

Es gibt bei uns kein eigenes Klimaressort. Die Idee ist, dass alle Textressorts und Querressorts – also Bild und Grafik – an den Planungssitzungen teilnehmen. Koordiniert wird das von Clara Hofer aus dem Wirtschaftsressort, die das Klimateam von Sandra Walder übernommen hat. Sandra Walder hat dieses 2021 ins Leben gerufen und ist mittlerweile Ressortleiterin der Chronik. Klima kann also auch ein toller Karrieresprung sein.

Jeden Dienstag trifft sich das Klimateam, bespricht die Planung und hält eine Rückschau. Zusätzlich befüllen wir das “Klima-Glossar“, in dem wir die wichtigsten Klimabegriffe erklären. Außerdem haben wir soeben den „Datenpunkt“ gestartet. Darin sind Datensätze für den journalistischen Gebrauch optimiert, unter anderem zu Klima durch eine Förderung von Google. Die Datensätze werden laufend automatisch aktualisiert.

Und wir haben einen Zuschlag bekommen für ein Förderprojekt von der Wiener Medienintiative. Das trägt den Titel „Zukunftsbild“. Zukunftsthemen wie Klima und KI werden bisher häufig mit den gleichen Stereotypen bebildert – etwa zum x-ten Mal der ausgetrocknete Zicksee. Wir schicken hier gezielt unsere Fotografen aus, um neue Bilder zu finden.

Die APA hat im Mai 2022 als eines der ersten Medien den Klima-Kodex unseres Netzwerks unterzeichnet. Wie hat sich dieser auf die Klimaberichterstattung der APA ausgewirkt?

Wir haben den Klimakodex unterzeichnet, weil er das widerspiegelt, was wir uns ohnehin vorgenommen haben und was wir ohnehin tun. Wenn jetzt aber eines Tages die Chefredaktion anders besetzt ist von jemandem, der Klimaberichterstattung unwichtig findet, kann die Redaktion theoretisch sagen, dass die APA aber den Klima-Kodex unterzeichnet hat. Von daher schadet es sicher nicht.

Sie sind seit Oktober 2023 Chefredakteurin der APA. Was ändert sich unter Ihnen in der Klimaberichterstattung?

Die Klimaberichterstattung trägt in erster Linie die Handschrift vom APA-Klimateam, aber sie trägt ein Stück weit auch jetzt schon meine Handschrift, weil ich vorher schon Stellvertretende Chefredakteurin war. Ich war in die Entstehung des Klimateams und am Ausbau der Klimaberichterstattung schon in meiner früheren Rolle stark involviert. Von daher wäre es eigenartig, wenn wir das jetzt groß ändern würden.

Wir denken das Klima jedenfalls immer stärker ganzheitlich mit – einerseits thematisch, andererseits aber auch im Hinblick auf neue, digitale Formate, spezifische Zielgruppen oder für den Bereich Wissensvermittlung und Weiterbildung.

Die Zeit hat ihr Klimaressort im Online-Bereich eingestellt, Puls4 das TV-Format “KlimaheldInnen” und CNBC hat in den USA das ganze Klimateam entlassen. Wie können Sie garantieren, dass die Klimaberichterstattung in der APA langfristig die nötigen Ressourcen bekommt?

Das Thema der Klimakrise wird sich selbst erhalten, weil die gesellschaftliche Bedeutung zunehmen wird. Ich gehe davon aus, dass wir irgendwann de facto 150 Klimareporter bei uns haben werden. Das ist nämlich die Gesamtzahl unserer Journalist:innen.