Der Ökologe Franz Essl wurde vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen zum Wissenschafter des Jahres 2022 ausgezeichnet. In seiner Dankesrede fordert er mehr und besseren Wissenschaftsjournalismus – besonders in den großen ORF-Formaten der Zeit im Bild (ZIB) und in den Ö1-Journalen.
Herr Essl, wie hängt die Klimakrise mit der Biodiversitätskrise zusammen?
Beide Krisen sind untrennbar verbunden. Zum einen sind die Ursachen ähnlich, teilweise dieselben: Wir haben als Gesellschaft einen viel zu großen ökologischen Fußabdruck. Unser Ressourcen- und Energieverbrauch ist nicht nachhaltig, am gravierendsten ist hier die intensive Landnutzung. Zum anderen haben wir durch diesen übergroßen gesellschaftlichen Metabolismus ein Endlagerproblem. Für Treibhausgase ist das Endlager die globale Atmosphäre. Dieses unsichtbare Müllproblem – man sieht CO2 nicht – ist die Ursache für den Klimawandel. Außerdem stammen etwa ein Viertel der Emissionen aus der Zerstörung der Natur. Gerodete Wälder sowie entwässerte Feuchtgebiete und Moore setzen CO2 frei. Torf ist nichts anderes als nasser Kohlenstoff.
Daraus folgt, dass man beide Krisen nur gemeinsam lösen kann. Man kann den Klimawandel nicht gegen die Natur lösen, das Artensterben nicht ohne den Klimawandel. Auch wenn dieser derzeit nicht der Haupttreiber ist. Aber er wird es immer mehr.
Was muss sich im Journalismus angesichts der ökologischen Krisen ändern?
Es wäre wichtig, in den Journalismus-Ausbildungen die Vermittlung von Wissenschaftsjournalismus zu stärken. Das fordert beispielsweise auch die Klimabewegung “Erde brennt”. Selbst wenn man nicht direkt zu den ökologischen Krisen studiert, muss man dennoch die wissenschaftlichen Grundlagen vermittelt bekommen.
Ich erwarte mir, dass sich Medien den Wissenschafts- und Umweltthemen stärker in ihrer Berichterstattung widmen. Alle Leser:innen und besonders Entscheidungsträger:innen sollten sich damit befassen. Natürlich ist Sportberichterstattung meist unterhaltsamer und leichter konsumierbar, aber Medien haben eine Verantwortung, die jenseits der bloßen Bedürfnisbefriedigung liegt. Mittlerweile tut sich aber etwas: Ö1 hat beispielsweise seine Wissenschaftssendung vom Nachmittag auf einen attraktiveren Sendeplatz am Morgen verschoben. Im ORF gibt es “Mayrs Magazin”, der Falter hat seit rund zwei Jahren ein Natur-Ressort und auch im Standard tut sich viel. Aber wenn man sich anschaut, wie viel Klimaberichterstattung vergleichsweise in Deutschland passiert, hätte Österreich noch viel Potential. Umweltthemen sollten einen Fixplatz wie beispielsweise Kultur in den großen Radio- und Fernsehsendungen bekommen, etwa in der ZIB und in den Ö1-Journalen.
Vergangene Woche haben Sie sich gemeinsam mit 50 Wissenschaftler:innen mit den Aktionen der Klimabewegung “Letzte Generation” solidarisiert, die mit Klebe- und Essenswurf-Aktionen aufmerksam macht. Warum unterstützen Sie diese Protestform und wie laut darf Wissenschaft sein?
Das ist ein großes Spannungsfeld: Sollten sich Wissenschaftler:innen nur auf ihre wissenschaftliche Tätigkeit beschränken? Immerhin kennen wir seit Jahrzehnten die wissenschaftlichen Botschaften der Klimakrise. Es gibt einen Konsens, dass die Klimakrise menschengemacht ist und die Berichte des Weltklimarats IPCC sind für alle zugänglich. Sie wurden sogar im Auftrag von Regierungen erstellt. Diese verfehlen derzeit wichtige Ziele wie Paris (Klima) und Montreal (Biodiversität). Das beeinflusst wiederum den Handlungsraum der Wissenschaft. Letztlich glaube ich, dass es eine individuelle Entscheidung jedes Forschenden ist. Es ist eine Grauzone, aber immer mehr interpretieren ihre Rolle wie ich: Wenn ich in der Öffentlichkeit rede, muss das für alle verständlich sein. Ich muss vereinfachen, ohne den wissenschaftlichen Anspruch aufzugeben und die Dinge beim Namen nennen.
Die Aktionen der “Letzten Generation” bewegen und polarisieren stärker. Es rüttelt die Leute auf, wenn sie Straßen blockieren. Wir als Wissenschaftscommunity unterstützen die Botschaften. Klimaaktivismus ist ein Weg, sie nach außen zu tragen. Die Ursache des Protests ist das Nichtstun der österreichischen Regierung. Man fordert bloß die Klimapolitik, zu der sich Österreich verpflichtet hat. Das ist keinesfalls extrem. Extrem ist, sehenden Auges die Zukunft der nächsten Generation aufs Spiel zu setzen. Abgesehen davon drohen Österreich 4,7 Milliarden Euro an Strafzahlungen bis 2030 für das Nichterreichen der Klimaziele.
Es ist wichtig, dass solche Protestformen legitim bleiben und nicht kriminalisiert werden. Aber ich kann den Ärger über die Staus nachvollziehen. Andererseits würde man sich auch ärgern, wenn Leute am Ring für ein anderes Thema, etwa Corona, protestieren. Das gehört eben zur Demokratie dazu. Solange es im Rahmen bleibt und friedvoll abläuft.