Die Faktencheckerin und Journalistin Eva Wackenreuther leitete zuletzt das deutschsprachige Faktencheck-Ressort bei der Nachrichtenagentur AFP in Wien und arbeitet derzeit für das Verificationsteam des ORF. Im Interview mit Marie Ritter spricht sie über Faktenchecks bei der Klimaberichterstattung und über die Auswirkungen des angekündigten Endes der Faktenchecks bei Meta. Außerdem hat Wackenreuther drei Tool-Tipps mitgebracht.
Anfang dieses Jahres hat Meta-Chef Mark Zuckerberg angekündigt, die Faktenchecks in den USA auf seinen Plattformen einzustellen. Hat dich die Nachricht überrascht?
Nicht wirklich, da es in letzter Zeit in diesen Kreisen immer weniger Commitment und viel Kritik gab. Die Härte und die Dramaturgie, in der es dann passiert ist, hat mich schon überrascht. Sowohl dass es so schnell ging, als auch, dass die Arbeit der Faktenchecker:innen von Zuckerberg so stark diskreditiert wurde. Schließlich galten die Facktenchecking-Programme bei Meta als Vorzeigeprojekt.
Derzeit arbeitest du in der „Redaktion TV-Nachrichten, Videoproduktion und Verifikation“ beim ORF. Wie sieht deine Arbeit dort konkret aus?
Eigentlich ganz vielfältig. Einerseits bin ich die interne Anlaufstelle, was die Verifikation betrifft. Das heißt, ich schaue mir an, ob ein Video oder Bild aktuell ist, ob es manipuliert wurde und ob der Kontext stimmt, aus dem es vorgibt, her zu sein. Wenn mich zum Beispiel ein Redakteur fragt, ob er dieses Bild in der heutigen Fernsehsendung zeigen kann, um ein bestimmtes Ereignis zu illustrieren, dann schaue ich es mir genauer an. Ich halte aber auch interne Schulungen ab und beschäftige mich zudem als Berichterstatterin oder Korrespondentin mit eigenen Beiträgen, bei denen Desinformation ein Teilaspekt ist.
Intensiviert auch der ORF angesichts der zunehmenden Desinformation seine Faktenchecks?
Vor 2024 gab es diesen Bereich ja noch gar nicht. Dass es diesen Bereich nun gibt, ist schon ein Schritt in diese Richtung, der zeigt, dass man auch beim ORF findet, dass Faktenchecks wichtig sind.
Wie recherchierst du, um Fakten zu checken? Welche Tools gibt es dafür?
Grundsätzlich gar nicht so anders als herkömmlicher Journalismus. Es gibt sogenannte OSINT-Werkzeuge, frei verfügbare Daten im Internet, die ich mit verschiedenen Tools wie „RevEye Reverse Image Search“, „InVID & WeVerify“ oder „Waybackmachine“ kombiniere. Aber oft ist es ganz banale Handarbeit. Man versucht zwei Quellen für eine Aussage zu finden und führt einen Plausibilitätscheck durch. Zwar ist es ein eigenes Genre, aber es ist jetzt auch nicht die Neuerfindung. Schließlich führen auch Journalist:innen immer einen Re-Check durch.
Welche Rolle spielen Faktenchecks speziell bei der Klimaberichterstattung?
Klimathemen sind ein guter Nährboden für falsche Informationen. Im Vergleich zu aktuellen Themen, die immer kurze Höhepunkte haben, sind falsche Informationen zum Klimawandel das Hintergrundrauschen, welches uns meistens begleitet. Klima spielt für Faktenchecks auch insofern eine große Rolle, weil falsche Informationen gerne bei Themen auftreten, die umkämpft und emotional sind und bei denen es oftmals zur Gruppenbildung kommt. Wir sind anfälliger dafür, falsche Informationen zu glauben, wenn wir sie in einem emotionalen Setting wahrnehmen. Und für viele Leute ist Klima ein sehr emotionales und politisch aufgeladenes Thema.
Sind Klimafakten allgemein schwerer oder leichter zu prüfen als andere?
Grundsätzlich sind sie leichter zu überprüfen, weil es relativ viel Forschung gibt. Beim Klimawandel ist es nicht so wie damals bei Corona, wo sich die Lehrmeinung immer wieder verschoben hat und man in der Berichterstattung gar nicht nachgekommen ist. Der Großteil der Klimaforschenden ist sich im Detail sehr einig, wie Abläufe funktionieren und welche Auswirkungen sie haben.
Bei welchen Klimainformationen war es für dich besonders schwierig herauszufinden, ob sie stimmen?
Oft ist die Schwierigkeit gar nicht, ob der Fakt stimmt, sondern was man damit macht. Die Frage ist etwa weniger, aus welchem Material genau die Beschichtung von Windrädern besteht, sondern vielmehr, ob ich Windräder überhaupt in meiner Umgebung stehen haben will. Das wird in öffentlichen Diskussionen oft miteinander verknüpft, dabei sind es eigentlich zwei verschiedene Themen. Und ich kann die erste mit der zweiten Frage nicht direkt beantworten. Die zweite Frage ist eine politische Frage, eine persönliche Meinung, die ich nicht faktenchecken kann.
Gibt es Fälle, wo du zu keinem sicheren Ergebnis gekommen bist?
Bei Klimafaktenchecks passiert das eher selten, bei anderen Themen öfter. Das erfahren die Leser:innen nur nicht, weil wir das nicht veröffentlichen können, wenn wir zu keinem Ergebnis kommen. Manchmal wissen wir einfach nicht, wo ein Bild herkommt, ob es aktuell ist oder nicht. Wir können dann nur sagen, dass es „sehr wahrscheinlich“ aktuell ist. Das können aber auch Studien sein, wo der eine das sagt und der andere das sagt und die Entscheidung dann schwerfällt, weil beide reputabel wirken und peer-reviewed publiziert haben. In dem Fall wartet man eher ab, bis das Ganze klarer erscheint.
Welche falschen Klimafakten halten sich deiner Meinung nach besonders hartnäckig?
Also grundsätzlich gibt es mehrere Ebenen. Zum einen wäre da die Behauptung, dass es den Klimawandel und die Klimaerderwärmung gar nicht gäbe. Das hören wir in den USA noch teilweise, hierzulande aber eher seltener. In Österreich stoßen wir noch häufiger darauf, dass es die Erderwärmung zwar gäbe, sie aber nicht oder nur teilweise vom Menschen verursacht werde. Der Anteil des Menschen wird eher beiseitegeschoben und es werden externe Faktoren angeführt, indem man zum Beispiel sagt, dass primär die Sonne oder die Neigung der Erdachse verantwortlich für die Erwärmung sei.
Dann wären da noch die Behauptungen, dass der Klimawandel gar nicht so schlimm sei, da es früher auch warm war. Und es gibt noch die Variante, dass man den Klimawandel zwar anerkennt, aber die Lösungen angreift. Also, dass die politischen Maßnahmen bezweifelt werden. Beliebt sind etwa falsche Informationen über Elektroautos, Windräder und teilweise auch die Leute, die dahinterstehen, zum Beispiel Meteorologinnen, die dann angegriffen werden.
Beliebt scheint mir dabei auch die Behauptung, dass Windräder Tieren schaden …
Die Tiere und Menschen in der Umgebung werden immer wieder mit aufgegriffen. Das sind dann Einwände wie „Kühe oder Rentiere würden Missgeburten erleiden“, oder „die Navigation der Wale würde durch Windräder gestört werden“. Alles daran besitzt einen Funken Wahrheit, den ich auch nicht wegreden möchte, wenn ich darüber berichte. Beispielsweise gibt es eine Studie, die besagt, dass sich das Verhalten der Rentiere verändert, wenn in ihrem Revier ein Windrad steht. Das Problem ist eher das Ausmaß, das oft überdramatisiert und mit Details gespickt wird, die so nicht passiert sind, beispielsweise bei den Missgeburten bei Kühen.
Auf welchen Plattformen findest du besonders häufig Klimadesinformationen?
Das ist pauschal schwer zu sagen und ändert sich. Momentan sehen wir, dass je mehr Leute sich angestachelt fühlen, desto mehr allgemeiner Blödsinn wird verbreitet und somit auch mehr Falschinformationen zu Klimathemen. Wenn ein Klimathema viral geht, dann passiert das über alle Plattformen hinweg, und deshalb kann man das vom Auswertungszeitraum schwer trennen.
Von wem gehen meistens Desinformationen bezüglich des Klimas aus?
Besonders stark von Gruppen, die das auch politisch nutzen. Institutionen wie zum Beispiel EIKE oder einzelne Vernetzungen in den USA. Dann werden Desinformationen aber auch oft von Einzelpersonen weitergetragen, die das nur ideologisch gut finden oder die im Guten davon überzeugt sind, dass etwas stimmt, ohne dass sie selbst einen finanziellen Anreiz davon hätten.
Es gibt verschiedene Arten von Desinformation wie etwa manipulierte Daten, irreführende Überschriften, politische Fehlinformationen oder falsche wissenschaftliche Studien. Was ist die häufigste Art von Desinformationen im Bereich der Klimaberichterstattung, auf die du stößt?
Ganz oft stoße ich auf eine Verdrehung von Argumenten, die gar nicht in einem Faktencheck aufgreifbar ist, weil das in dem engen Berufsfeld, in welchem Faktenchecker:innen arbeiten, schwer quantifizierbar ist. Wir beschäftigen uns mehr mit Studien, die falsch interpretiert werden. Dass irgendetwas umgeschrieben wird, geschieht seltener. Eher passiert, dass die Überschrift einer Studie grob zum Inhalt passen könnte, sich das aber beim zweiten Blick auf die Studie gar nicht so genau halten lässt. Es gibt aber auch viele Behauptungen, die keinen konkreten Anlass in Form einer Studie oder eines Bildes haben.
Was hältst du von der Idee des Faktenchecks über Community Notes, den Meta in den USA einführt?
Das kann grundsätzlich funktionieren. Ich halte es aber auch für problematisch, gerade wenn es in so einem befeuerten Umfeld stattfindet, in dem die Community Notes für politische Diskussionen verwendet werden und weniger für wirklich ernsthafte Wahrheitsfindung. Und vor allem ist es eine Auslagerung an Arbeit, die eigentlich ordentlich und gesichert und nach nachvollziehbaren Qualitätskriterien passieren sollte. Und nicht, weil es billiger oder politisch passend ist.
Noch arbeitet Meta in der EU mit Faktenprüfern zusammen. Traust du dir eine Prognose zu, wie lange die Zusammenarbeit noch halten wird?
In die Glaskugel kann ich nicht schauen. Ich glaube ewig nicht, beziehungsweise wenn, dann wahrscheinlich in einem reduzierten Ausmaß. Ich wage aber nicht zu prognostizieren, ob sie es wirklich in allen Ländern einstellen würden. Es wird wahrscheinlich auf eine Schwächung in der EU hinauslaufen.
Was lässt sich als Faktencheckerin dagegen unternehmen?
Ich werde meine Arbeit weiterhin machen. Gerade die Arbeit, die wir jetzt zum Beispiel hier beim ORF machen, hat gar nichts mit dem Meta-Programm zu tun. In ein paar Monaten werden wir es aber wahrscheinlich schon merken: sowohl die weniger werdenden Faktenchecks als auch die aufgehobenen Moderationsregeln zu Themen wie Geschlechteridentität. Die Lockerungen erlauben beispielsweise nun Homosexuelle und trans Personen als „geistig krank“ zu bezeichnen. In dem Moment, wo es offiziell erlaubt wird, rechne ich damit, dass Hatespeech dann auch zunimmt.
Was braucht es angesichts der Entwicklungen bei Meta und der allgemein zunehmenden Desinformation für die Zukunft?
Die Lösung ist nicht nur der Faktencheck. Er ist nur das Pflaster, das man auf die Wunde draufklebt. Aber idealerweise sollte man sich ja gar nicht erst verletzen. Da wäre es schön, wenn wir mehr Prebunking, also das vorherige Warnen vor Falschinfos, in diverse Medienformen integrieren würden. So werden wir immuner gegen Falschbehauptungen. Und ganz grundsätzlich bräuchte es mehr Angebote zur allgemeinen Medienkompetenz, damit es am Ende Faktenchecks gar nicht erst braucht.
3 Tool-Tipps von Eva Wackenreuther
Tool 1 – RevEye Reverse Image Search
„Damit kann man mit nur einem Klick eine Rückwärtssuche nach einem Bild durchführen und herausfinden, in welchem Zusammenhang ein Foto sonst noch veröffentlicht wurde.“
Tool 2 – InVID & WeVerify
„Mit dem Plugin von InVID WeVerify kann man auf viele kleine Werkzeuge gleichzeitig zugreifen. Zum Beispiel kann man damit die Metadaten einer Aufnahme schnell auslesen oder ein Video in Keyframes unterteilen.“
Tool 3 – Waybackmachine
„Im Internetarchiv der Waybackmachine sind viele Websites über Jahre hinweg gespeichert. So kann man Veränderungen bemerken oder mit etwas Glück gelöschte Inhalte wiederfinden.“