Die Juristin und Klimaaktivistin Baro Vicenta Ra Gabbert ist Sprecherin bei Greenpeace Deutschland für sozial-ökologische Gerechtigkeit und Mitbegründerin der Climate Clinic. Im Interview mit Marie Ritter spricht sie über die Entwicklung von Klimaklageverfahren, richtungsweisende Urteile und juristische Themen, über die in Zukunft mehr berichtet werden sollte.
Du bist Sprecherin bei Greenpeace für sozial-ökologische Gerechtigkeit. Wie sieht eine gerechte Welt für dich aus?
Eine sozial-ökologische Zukunft ist für mich eine, in der wir die planetaren Grenzen einhalten und es gleichzeitig schaffen, möglichst viele soziale Grundbedürfnisse von Menschen zu erfüllen. Die reichen von gesundem Essen über bezahlbaren Wohnraum bis zum Leben in Gemeinschaft in lebenswerten Städten. Eine lebenswerte Zukunft kann für jeden Lebensbereich und für jeden Ort anders aussehen. Und da setze ich darauf, dass Menschen die Expert:innen in ihren eigenen Lebenswirklichkeiten sind.
Sollten dann nicht vielmehr die Menschen und weniger die Politik über die Zukunft entscheiden?
Zumindest in Teilen glaube ich, dass wir uns sehr viel mehr darauf beziehen müssen, was eigentlich ein gutes Leben ausmacht. Ein gutes Beispiel ist das Land Bhutan, das neben anderen Indikatoren das Brutto-National-Glück in Bereichen wie Spiritualität, Gesundheit und Gemeinschaft misst. Seit der Erhebung sehen wir, dass die Menschen zufriedener werden und Bhutan auch ein CO₂-positives Land ist, also weniger emittiert, als es absorbiert. Das spricht für mich dafür, dass eine Politik, die die Bedürfnisse der Bürgerinnen einbezieht, auch eine gute Politik für Umwelt und Klima sein kann.
Glaubst du, dass du solch eine sozial-ökologische Welt noch erlebst?
Das weiß ich nicht. Aber ich bin überzeugt davon, dass sehr viel möglich ist, wenn sich Menschen zusammentun und sich darauf besinnen, was ihnen wirklich wichtig ist. Das zeigt gerade der gewonnene Bürgerentscheid für eine sozial gerechte, klimaneutrale Stadt bis 2040 in Hamburg. Wir sehen es aber auch mit der Bürgermeisterwahl in New York: Ein entscheidender Punkt für Zohran Mamdanis Sieg soll laut Analysen gewesen sein, dass er eine positive Zukunftsvision für ein konkret gutes Leben vor Ort mitgebracht hat.
Reden wir gerade noch zu wenig über Verteilungsgerechtigkeit?
Wir reden zu wenig konstruktiv und ehrlich über Verteilungsgerechtigkeit. Ich höre oft das Argument, dass man Klimaschutz nicht betreiben kann, weil er für manche Leute zu teuer sei. Es wird andererseits viel zu wenig über die Verantwortung der Superreichen für die Klimakrise gesprochen. Stattdessen wird mit den Fingern auf Leute gezeigt, die sich nicht ganz perfekt verhalten oder sich gar nicht leisten können, nachhaltige Produkte zu kaufen. Durch diese scheinheilige, oft von der Politik geführte Debatte, wird die Mehrheit, die es für den Klimaschutz eigentlich gäbe, zunichtegemacht. Einkommensschwächere Menschen werden dadurch verschreckt und oft als Opfer und nicht als die Vorbilder für Klimaschutz dargestellt, die sie eigentlich sind.
International wäre es wichtig, dass die Industrienationen ihre historische Verantwortung anerkennen. Die Klimaverhandlungen stagnieren meiner Meinung nach auch, weil man dem ungerechten Ressourcenverbrauch und kolonialem Extraktivismus nicht angemessen Rechnung trägt. Solange industrielle Gesellschaften nicht ehrlich sind, werden andere Nationen nicht mitmachen wollen.
Wir sollten Journalist:innen über Klimagerechtigkeit in Zukunft berichten?
Im internationalen Kontext fände ich es wichtig, dass die Leute, die durch die Klimakrise am meisten betroffen sind, die aber auch ganz viele Lösungen für Klimaresilienz oder das Verteidigen von natürlichen Lebensräumen mitbringen, auch hier Gehör finden. National würde ich mir wünschen, dass die große Zustimmung zu Klima- und Naturschutz – nach Studienauswertungen durch die Zeitung The Guardian wünschen sich 80 bis 89 Prozent der Weltbevölkerung mehr Klimaschutz – auch die Basis der Berichterstattung ist und false balancing vermieden wird.
Ich würde mir auch wünschen, dass der Fokus mehr darauf liegt, was die Menschen, die Klimaschutz befürworten, brauchen, damit er für sie annehmbar, lebbar und lebenswert ist. Es sollte mehr über Initiativen, Kommunen, Orte und Menschen berichtet werden, die bereits vorangehen und konkrete Maßnahmen schon umsetzen. Das funktioniert oft auch über die vermeintlich großen, verhärteten, politischen Linien hinweg.
Scheitert das Learning der Klimaberichterstattung „humanize, solutionize und localize“ in der Umsetzung?
Von ganz vielen Journalist:innen weiß ich, dass sie das verstanden haben und eigentlich wissen, wie man Menschen erreicht. Leider führt die Krisenmüdigkeit der Leute – oder, dass Artikel, die über gelungenen Klimaschutz berichten, nicht reißerisch genug sind – dazu, dass am Ende in der breiten Masse der Medien nicht genug konstruktive Klimaberichterstattung ankommt.
Wie empfindest du die aktuelle Klimaberichterstattung, wenn es um Klimaklagen geht?
Ich empfinde sie als verhältnismäßig unaufgeregt, was ich aber gut finde. Manchmal geht bei der Berichterstattung die Genauigkeit, bspw. bei der Wortwahl, verloren. Es ist schwer, das Recht so herunterzubrechen, dass man es versteht und Menschen merken, dass es sich wandelt, formbar ist, uns allen gehört und nicht immer Entscheidungen für oder gegen das Klima trifft. Wenn man das als Journalist:in schafft, den Menschen nahe zu bringen, dann hat man der Demokratie und dem Rechtsstaat und auch dem Vertrauen darin einen großen Dienst erwiesen. Mein simpler Ratschlag wäre daher, mit Anwält:innen oder Jurist:innen zu sprechen, wenn man über juristische Themen berichtet.
Wie haben sich die Klimaklageverfahren in den vergangenen Jahren entwickelt?
Erstmal sehen wir, dass Klimaklagen in den vergangenen 20 Jahren, mit Ausnahme der letzten vier Jahre, weltweit zugenommen haben und verhältnismäßig erfolgreich waren. Vor einigen Jahren ging es eher noch darum, die Klimakrise in den Rechtsordnungen zu verorten und anzuerkennen. In Deutschland hatten wir 2021 die Entscheidung, dass Klimaschutz und Klimaneutralität verfassungsrechtliche Pflichten sind. In den vergangenen Jahren haben wir dann angefangen, vor Gericht mehr um das konkrete Regelungswerk und die konkreten Maßnahmen zu streiten, etwa ob das Klimaschutzgesetz rechtmäßig verändert worden ist. Das ist es aus unserer Sicht nicht. Die Debatten sind Ausdruck der Transformationsdynamiken. Weltweit ist zu sehen, dass Klimaschutz zunehmend als Grundlage für Menschenrechte oder als Menschenrechtsschutz anerkannt wird.
Welche richtungsweisenden Urteile sollten alle Klimajournalist:innen kennen?
Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in diesem Jahr, die anerkennt, dass Klimaschutz die Basis für alle Menschenrechte ist. Sie hat die 1,5-Grad-Grenze noch einmal völkerrechtlich festgesetzt und besagt, dass zu wenig Klimaschutz eine völkerrechtswidrige Handlung sein kann. Das bietet jetzt eine neue Basis für zwischenstaatliche Klagen. Die Entscheidung hat auch festgestellt, dass Staaten ihren Privatsektor, etwa fossile Unternehmen, regulieren müssen.
Dann würde ich sagen, die Klimaseniorinnen, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in diesem Fall Klimaschutz als Menschenrecht anerkannt hat. Die Klimaseniorinnen haben dafür argumentiert, dass die Klimakrise ihr Recht auf Gesundheit und Wohlbefinden beeinträchtigt, zum Beispiel durch Hitzewellen und andere Extremwettereignisse, die sie überproportional betreffen.
Für Deutschland ist die Verfassungsbeschwerde von 2021 total wichtig, diese hat aber auch Strahlkraft für andere Rechtsordnungen der Welt, da sie die intertemporalen Freiheitsrechte eingeführt hat. Das heißt, dass Freiheitschancen über die Zeit und auch in die Zukunft hineingedacht und verteilt werden müssen. Diese Verfassungsgerichtsentscheidung wurde, anders als in anderen Fällen, direkt in mehrere Sprachen als Pressemitteilung ausgeschickt und in anderen Regionen der Welt in die Rechtsdebatten einbezogen.
Die Klage des Kleibauern Saúl Luciano Lliuya gegen RWE sollte man auch kennen, weil sie im Privatrecht verankert ist und die Schadensersatzpflichtigkeit von Unternehmen für klimaschädliches Verhalten behandelt hat. Er hat zwar am Ende keinen Schadenersatz bekommen, aber die Entscheidung zeigte, dass es grundsätzlich geht, dass Unternehmen für klimaschädliche Aktivitäten aufkommen müssen.
Über welche juristischen Themen oder Fälle sollte in Zukunft berichtet werden?
Gerade läuft eine Verfassungsbeschwerde, die sogenannte „Zukunftsklage“, in Deutschland. An der sind drei Dinge besonders interessant: Erstens argumentiert sie dafür, dass gerechte Maßnahmen im Klimaschutz getroffen werden müssen, da die Transformation dringend nötig ist. Das Novum in der juristischen Argumentation ist, dass wir uns auf Teilhabe-Rechte und das Gebot gleicher Lastenverteilung aus der deutschen Verfassung berufen. Das heißt, dass etwa auch Menschen mit wenig Geld im ländlichen Raum oder Menschen mit Behinderung oder Vorerkrankungen angemessen berücksichtigt werden müssen.
Das zweite Interessante ist, dass sich bei der Klage über 50.000 Menschen angeschlossen haben. Ich finde es wichtig, dass Menschen, die für ihre Rechte einstehen wollen, ermöglicht wird, Teil eines solchen Prozesses sein zu können, und dass sie auch rechtlich gehört werden.
Drittens stützt die IGH-Entscheidung unsere Argumentation. Es ist interessant zu schauen, wie die internationale Entscheidung in nationales Recht einbezogen werden wird.
Davon abgesehen finde ich spannend, ob es durch die Ergebnisse der IGH-Entscheidung zwischenstaatliche Klagen geben wird, die wegen völkerrechtswidriger Handlungen, auf Schadensersatz oder auch Unterlassen plädieren. Was bedeutet das dann?
Interessant ist auch das Verhältnis von Unternehmen und Klimaschutz im Recht. Also die weitere Entwicklung, wenn es aufbauend auf der RWE-Klage mehr Klagen gibt und die ersten hohen Schadensersatzsummen zuerkannt werden.
Auch halte ich es für wichtig, journalistisch zu beobachten, wie Unternehmen mit SLAPP-Klagen aktiv versuchen, Journalismus, Aktivismus und zivilgesellschaftliches Engagement zu verhindern – gerade im Bereich Umweltverbrechen, Klimaschutz und Klimaproteste. Gerade weil dadurch ein Angriff auf Demokratie- und Debattenräume, Engagements- oder Protestformen stattfindet.
Wie können sich Klimajournalist:innen vor SLAPP-Klagen schützen?
Die EU hat vergangenes Jahr im April eine Anti-SLAPP-Richtlinie erlassen, damit Gerichte nicht mehr missbraucht werden, um etwa Journalist:innen und NGOs mundtot zu machen. Jetzt wird sie bis nächstes Jahr in den einzelnen Ländern in nationales Recht umgesetzt. Hier ist eine möglichst effektive Umsetzung wichtig.
Wenn du in fünf Jahren Bilanz ziehen würdest, was müsste erreicht sein, damit du sagst, wir sind auf dem richtigen Weg?
Wenn man in fünf Jahren auf die Straße geht und Leute fragt, wie ihre Zukunft aussieht, müssten sie mit irgendeiner Idee oder Vision von einer lebenswerten Zukunft antworten können. Die Zukunft gerade, so mein Eindruck, macht den Leuten Angst. Das tut einer Gesellschaft nicht gut. Diese Situation birgt die Gefahr, dass das Vertrauen in andere Menschen, in die Politik, Medien und das Recht schwindet. Mit positiven Zukunftsvisionen wächst ein Gemeinschaftsgeist, der ganz viel Energie freisetzen kann.
Was beunruhigt dich derzeit als Juristin im Umgang mit Rechtsfragen?
Mir bereitet große Sorge, wie über das Recht und Gerichte gesprochen wird. Gerade ist eine Tendenz in der Gesellschaft und Politik zu spüren, den Rechtsstaat danach zu bewerten, ob einem die Entscheidungen vom Gericht passen oder nicht. Doch das Recht trifft keine parteipolitischen Entscheidungen, richtet sich nicht nach aktuellen politischen Schwingungen oder nach kurzfristigen Mehrheiten, sondern nach Rechtsstaatlichkeit und nach festgeschriebenen Grundsätzen, die in der Regel längerfristig gelten.
Ich würde mir wünschen, dass der Aushandlungsraum Gericht hochgehalten und vor Vertrauensverlust geschützt wird, da der Verfassungsstaat auch von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Demokratien müssen das Recht schützen.
